Bombshell-Tuesday.

von JULIA DETTMER

von JULIA DETTMER

So, schildern wir das Ganze mal aus meiner Sicht. (Das Ganze ist der Fund einer Fliegerbombe auf dem alten Schabinger 7-Gelände. Hier steht weiter unten was dazu drin.)

Montag, 17 Uhr: Ich komme von der Frühschicht nach Hause, schnalle die Laufschuhe unter und los geht’s. Bei der U-Bahn-Station Münchner Freiheit denke ich „Oha, warum sind hier so viele Polizeiautos?“ Alles ist zugeparkt, überall stehen Beamte, allgemeine Nervosität oder Aufruhr ist nicht auszumachen. Ich drehe meine Runde im Englischen Garten, laufe wieder heim, selbes Szenario.

18 Uhr: Daheim angekommen gucke ich auf mein iPhone, um Runtastic zu sagen, dass der heutige Run beendet ist. Da ploppt eine WhatsApp-Nachricht auf. 
Eine Freundin schreibt: „Bist du sicher daheim angekommen? Geht’s dir gut?“ 
Ich denke: „Spinnt sie? Seit wann macht sie sich Sorgen, nur weil ich mit dem Radl von der Arbeit heimfahre?“ 
Dann knacksen die Synapsen in meinem Hirn und stellen einen Zusammenhang her. Irgendwas hat die Polizeiarmada zu bedeuten. Ich gehe hoch in meine Wohnung, schmeiße das Laptop an und gucke blöd. Bombenalarm in Schwabing. Man hat bei Bauarbeiten auf dem Gelände der alten „Schwabinger 7“ eine Fliegerbombe aus dem zweiten Weltkrieg gefunden. Das Ding ist scharf und kann jederzeit hochgehen. Wie gut, dass es nicht explodiert ist, als ich gerade direkt dran vorbei gejoggt bin! Jetzt wollen sie es entschärfen. Die Leute, die genau da wohnen, wurden evakuiert. Ich weiß, dass Lisa da wohnt. Hoffentlich geht es ihr gut. Bei Facebook trudeln die ersten, ironischen „Evakuiert: Check“-Meldungen ein. Ich stelle fest, dass ich echt viele Leute in meiner Hood kenne.

Der Abend verläuft dann recht ruhig, ich mache mir keine großen Sorgen, schließlich trennen mich laut Maps 600 Meter und die Leopoldstraße von dem Teil. Zu kurz gedacht, wird sich später rausstellen.

22 Uhr: Ich höre zum Einschlafen ein Lied an, es wird übertönt. Zuerst kann ich den Krach nicht zuordnen, dann gehe ich zum Fenster und lausche. „Achtung, Achtung, hier spricht die Feuerwehr.“ Sie wollen, dass die Leute ihre Wohnungen räumen. Ich liege im Bett, angespannt. Langsam keimt Unsicherheit in mir auf. „Bitte klingelt nicht bei mir!“, bete ich. Ich mag zwar Extremsituationen, aber ich bin so müde. Irgendwann schlafe ich mit flauem Gefühl im Magen ein, im Kopf immer diese Denkschleife: „So lange keiner bei mir klingelt, bin ich in Sicherheit“.

Dienstag, 7:30 Uhr: Ich stehe auf, mache Kaffee und schalte das Radio an. Bombenalarm in Schwabing – es gibt kein anderes Thema mehr. Mittlerweile wurden noch mehr Leute evakuiert, Polizei und Feuerwehr arbeiten auf Hochtouren, ein Sprengmeister wurde bestellt. Er soll versuchen, die Bombe zu entschärfen. Wenn das nicht geht, muss sie gesprengt werden. Die Vorbereitungen laufen schon.

8:30 Uhr: Ich verlasse das Haus und auf der Straße ist die Hölle los. Überall Feuerwehrautos, man montiert Absperrbänder. Ich schwinge mich aufs Rad und fahre zur Arbeit.

Ab 9:30 Uhr: Und dann geht’s los. Den ganzen Tag über trudeln immer mehr Meldungen ein. Es gibt sogar einen Newsticker. Über den erfahre ich, dass ich mittlerweile auch in der Sperrzone wohne und evakuiert bin. Lustig, ich bin evakuiert, ohne daheim zu sein.

15 Uhr: Nun melden sie, dass der Verkehr komplett lahmgelegt ist. Autos werden abgeschleppt, Gas, Wasser und Strom in Schwabing abgestellt. Okay, langsam breitet sich Aufregung in mir aus. Was, wenn mein Haus in die Luft geht? Das ist unwahrscheinlich, aber trotzdem! Gespannt verfolgen wir den Ticker. Günther Sobieralski, der Spezialist, muss entscheiden, was getan wird.

18:30 Uhr: Die Entscheidung zieht sich hin. Völlig im Ungewissen brechen wir zum Beachvolleyball auf. Selbst ein bisschen ballern – das lenkt ab. Gegen Ende unseres Matchs wird vermeldet, dass die Bombe nicht entschärft werden kann, sie lassen sie heute noch explodieren.

20:45 Uhr: „Achtung, Achtung, in Kürze erfolgt die Sprengung der Bombe“, dröhnt durch die Lautsprecher (lese ich im Ticker). Alle Leute müssen in den Wohnungen bleiben, keiner darf auf die Straße. Die Splitter können bis zu 1.000 Meter weit fliegen und sind verdammt scharf. Ich bin noch beim Volleyball, will aber langsam nach Hause radeln. Ich habe auf einmal keine Internetverbindung. Aber WhatsApp geht. Meine Freundinnen schreiben mir, dass ich noch warten soll, dass die Bombe um 21:45 Uhr gesprengt wird. Gut, warte ich halt noch kurz.

21:45 Uhr: Nichts passiert. Totenstille. Kaum jemand ist auf den Straßen, ich schon, ich fahre jetzt mal los. Ich habe keine Angst, denn ich nähere mich meiner Wohnung sowieso von außerhalb der Sperrzone und wenn ich nicht rein darf, warte ich an der Grenze oder bekomme bei Freunden Asyl.

Auf dem Rad erreicht mich ein ängstlicher Anruf: „Was war das für ein Knall?“ „Endlich, sie haben sie hochgehen lassen!“, denke ich. Jetzt radle ich schneller, ich will noch was mitkriegen von der Bombenstimmung. An der Grenze stehen Polizisten, Autos dürfen nicht rein. Ich fahre hin und frage: „Darf ich wieder in meine Wohnung?“ Die Beamtin antwortet fast schon hochnäsig: „Ja klar, warum nicht?“

Bei meiner Wohnung angekommen sehe ich Absperrbänder, ich kann aber in mein Haus. Die Stille ist verflogen, Sirenen ertönen, Helikopter kreisen über Schwabing. Drüben soll es brennen, aber der Regen hat eingesetzt. Ich fühle mich, als wäre ich im Kino in einem Actionthriller gewesen – und als ob ich fast den kompletten Film verpennt hätte. Jetzt läuft der Abspann. Es riecht noch nach Rauch, aber niemandem ist etwas passiert. Das ist das Wichtigste. Die Dachstuhlbrände sind unter Kontrolle.

Ich grüble immer noch über die Sache nach. Irgendwie lässt es mich nicht los, obwohl ich quasi gar nicht dabei war.