„Haben Sie wenigstens gewonnen?“ „Und wie!“

von JULIA DETTMER

von JULIA DETTMER

… Gespräch am Wasserautomaten. Da muss man als Patient nämlich zweimal am Tag hinlaufen und seine Kanne auffüllen, damit man sich bewegt und genuch trinkt.

Fangen wir mal vorne an, wa? Ihr seid ja sicher scharf auf die ganze Geschichte. Am Freitag begab ich mich in fremde Hände, die aus weißen Kitteln hängen. Die steckten mich in diese (mir wohlbekannten) sexy Söckchen und ein hübsches Krankenhausleiberl (hey, sie haben die Teile weiterentwickelt! Man kann sie jetzt hinten übereinanderschlagen und zuknoten. Für die Docs hieß das leider, dass sie keine freie Sicht auf meinen Prachtarsch hatten). Ohne viel Getue ließ ich mich also in den OP schieben, mir vom Anästhesisten versprechen, dass ich während der Narkose sicher „wunderschöne Träume haben werde, weil jetzt haben Sie ja mich gesehen“ und ab ging die Luzie. Nachher erwachte ich quasi neugeboren, mit Armband. Rührend, irgendwie. Wahrscheinlich hatten Sie nur Schiss, dass sie mich nach der OP nicht mehr ganz zuordnen können, denn meine Augen waren zugeschwollen und meine Nasenpartie überall bläulich. An dieser Stelle erst mal ein ganz großes DANKE an euch alle. Als ich aus der Narkose aufwachte, hatte ich ca. 20 Nachrichten, in denen man sich nach meinem Befinden erkundigte. War also nix mit „noch ein bisschen auf der Betäubungswelle surfen und pennen“. Kaum war ich fertig mit Antworten, brachte mir eine Schwester diesen wunderbaren Blumenstrauß. DANKE, liebe Kollegen, ich vermiss euch! Leider tat ich mich etwas schwer, was zu riechen, weil natürlich alles dicht ist: Das unter der Nase ist übrigens kein „Nasenspitzenhalter“, wie Welli annahm, sondern eine Gerätschaft zum Auffangen des Bluts, das aus dem lädierten Riechkolben rinnt. Ich liebe diese Teile, es macht so Spaß, die zu wechseln! Man spürt immer an der Oberlippe, wenn es feucht wird, wenn es also „durchgeblutet“ ist, dann kann man es von den Ohren nehmen (jetzt haben Ohrmuscheln auch einen Sinn!) und ein neues einhängen. Ziemlich flott entdeckte ich dann meinen neuen Dauerfreund (ja, Kerle, der hält knallhart ganze Nächte durch!): Mit dem verbringe ich jetzt den Großteil meiner Zeit, wenn nicht gerade Besuch hereinschneit und zauberhafte Speisen abliefert: Das KH-Essen ist aber auch ok. Damals bei den Mandeln hab ich ja nur die Lulli-Version mit labberigem Weißbrot bekommen, jetzt kann ich mittags sogar Schweinebraten haben, wenn ich will (da ich aber keinen Schweinebraten mag, will ich diesen nicht und nehme jetzt immer die Hähnchenfilets). Hier seht ihr das Frühstück: So, und dann kommen wir jetzt noch zum Event des Tages, ach, was rede ich, des ganzen KH-Aufenthalts: der Entfernung der Tamponade. Ich hatte vor nichts Angst. Nicht vor der Nadel, nicht vor der Narkose, nicht vor dem Aufwachen, nicht vor den zugeschwollenen Augen, nicht vor dem Gefühl, nicht mehr durch die Nase atmen zu können, nicht vor dem Druck und vor den Schmerzen, nicht mal vor meinem Spiegelbild. Ich hatte nur Angst vor dem Ziehen der Tamponade, weil ich so viele Horrorgeschichten gehört hatte („Mach dich auf was gefasst, das sind Schmerzen wie bei einer Geburt.“ „Ich hatte noch keine!“ „Dann wirst du bei deiner ersten wieder an die Tamponade denken!“).

So, damit konnte ich mich natürlich keinesfalls zufriedengeben. Nachdem ich also eine gründliche Befragung bei sämtlichen, greifbaren Schwestern, Ärzten und Patienten durchgeführt hatte, war ich bis zum Abend davor einigermaßen beruhigt, weil sie alle sagten, dass es nicht so schlimm sei. Als der Doc dann mit der Pinzette vor mir stand, hielt ich mir die Hände vors Gesicht und stellte mich an wie ein kleines Kind.

Er beruhigte mich ebenfalls und – zog das Ding einfach raus. Diese Tamponaden sind nämlich mittlerweile so prima gemacht, dass sie nicht „festkleben“ oder „verkrusten“. Lassen sich einfach rausziehen, ganz geschmeidig.

MIR HÄTTE ABER MAL WER SAGEN KÖNNEN, DASS „SIE WERDEN NACHHER KURZ BLUTEN“ HEISST, DASS MAN „WIE EIN SCHWEIN AUF DER SCHLACHTBANK AUSBLUTET“.

Nächstes Mal möchte ich solche Informationen gerne erhalten, bevor sie in meinem Gesicht stattfinden. Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Du sitzt auf den Bett, auf dir liegt eine saugstarke Auflage, darauf ein Nierenschälchen, darüber schwebt deine frisch operierte Nase. Wenn die Tamponade raus ist (der Arzt lässt sie geschickt verschwinden) und du feststellst, dass das Ziehen gar nicht schlimm war und sich nur saukomisch anfühlt, geht’s los, volle Lotte.

Du atmest, ein Schwall warmes Blut fließt über Lippen, Kinn, Hals, bis du schnallst, dass du es evtl. mit ein paar Tüchern auffangen solltest. Das passiert dann in sehr kurzen Abständen wieder und wieder und du kommst nicht hinterher mit dem Wischen. Irgendwann wachst du aus deinen Gedanken auf: „Oh Gott, überall Blut, nicht bewegen, Mist, schon wieder ein Schwall. Ich sau alles ein, schnell wischen. Mist, noch mehr, ich hab nicht genug Hände und Tücher, toll, noch mehr. Ich sau alles ein, egal, Hauptsache, es hört auf!“… …und hörst verschwommen den Arzt, der neben dir steht und zum wiederholten Male sagt: „Atmen Sie durch die Nase!“

Blutend und über dein Schälchen voll Blut gebeugt willst du bockig antworten: „Wie denn, Sie Arschloch, da kommt doch ganz viel Blut raus!“ Doch du schnallst, dass du es tun musst, denn es ist das einzige, was noch helfen könnte, auch wenn es abwegig klingt.

Du tust es einfach, es blubbert und röchelt und schmeckt ekelhaft total geil und dann spürst du irgendwann, dass es das jetzt war, dass der Stau abgeflossen ist. Der Arzt sagt: „Jetzt haben Sie es geschafft. Das war nur das alte Blut, das ist jetzt raus.“ Altes Blut, aha. Er erklärt dir noch kurz, wie du die Creme anwendest, wenn die Kühlungszeit verstrichen ist, die Schwester säubert dich ein bisschen – und dann bist du alleine.

Alleine mit dir, deiner nur noch ganz leicht sabbernden Nase und dem Gefühl, dass du gerade etwas ganz, ganz Großes geschafft hast. Alleine. Ohne große Hilfe. Und du hast nicht geheult und bist nicht ohnmächtig geworden. Du hast eine Extremsituation einfach so über dich ergehen und ergießen lassen und jetzt ist es geschafft. Jetzt muss es nur noch heilen und du musst cremen und stillhalten und den Druck geduldig aushalten. Und in ein paar Wochen nehmen sie dir die Schiene ab und du kannst das Ergebnis deines Boxkampfs sehen. _____________________________________________________________________________________________________________

Hier übrigens der Gerät, mit dem der Doc die Tamponade gezogen hat, den heb ich auf. Als Erinnerung an das große Bluten und vor allem daran, dass ich es überstanden habe. Und so sieht’s jetzt aus. Ganz annehmbar, finde ich 🙂 Mit diesem kleinen Ausblick verabschiede ich mich, ich melde mich dann von daheim. Bis dahin, immer schön durch die Nase atmen!