Ein Monat später

von JULIA DETTMER

von JULIA DETTMER

Heute vor einem Monat war mein letzter Tag als Chefredakteurin von BUNTE.de, jetzt bin ich selbstständig. Dazwischen lag nur ein Monat, der mir aber viel länger vorkommt. Zeiträume kommen einem ja immer viel größer vor, wenn in ihnen viel passiert ist.

Also, was hat sich in diesen 29 Tagen ereignet und geändert? Das erzähle ich euch jetzt mal. 
Wer ein bisschen Musik dazu hören möchte, klickt hier und zieht sich das neue „Mighty Oaks“-Album rein. Es ist grandios.

Als ich am letzten Freitagabend im Januar aus Sri Lanka wiederkam, war mir nicht nur plötzlich wieder kalt, sondern auch schlagartig klar, dass jetzt nur noch ein Wochenende zwischen altem und neuem Berufsleben liegt. Ich genoss es in vollen Zügen, schob alle Gedanken an die große Ungewissheit beiseite und dachte nicht an Montag.

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Montag klingelte der Wecker um 6 Uhr und ich machte ausnahmsweise nicht Sport, sondern dackelte zum Arbeitsamt. Ich kam eine halbe Stunde vor der Öffnungszeit an, die Menschentraube vor dem Haupteingang trug Minute für Minute mehr Früchte und dann machten sie auf und ich stellte mich in die Schlange vor der Anmeldung. Der frühe Vogel … es ging flott.

Mein Ziel: Ich wollte mich für den einen Pflichttag arbeitslos melden, den man „braucht“, um den Gründungszuschuss für die Selbstständigkeit beantragen zu können, und auch direkt für den nächsten Tag den Start meiner Selbstständigkeit vermerken lassen. Irgendwie hatte ich Glück und beides klappte innerhalb von einer Stunde. Normalerweise braucht man, glaube ich, zwei gesonderte Termine. 

Vielleicht hatten die Damen auch nur Mitleid mit mir, weil sie vorhersehen konnten, dass ich in den nächsten Tagen praktisch eh nicht für einen weiteren Termin vorbeikommen können würde. 
Merke: Laufe nie in neuen Stiefeln unbekannte Strecken.
Hinweis an alle, die mich bei der Agentur für Arbeit haben „gehen“ sehen: Nein, ich hatte nicht beide Beine gebrochen, sondern schleppte mich bereits mit zwei mandarinengroße Blasen an meinen Fersen durch die Gänge.

So, das unangenehme Prozedere – ja, es ist unangenehm, beim Arbeitsamt anzutanzen, wenn man vorher immer nahtlos in festen Anstellungen glücklich war – war überstanden und daheim setzte ich mich direkt an die Unterlagen. Man bekommt nämlich diverse Merkblätter, Formulare etc. für die Beantragung des Gründungszuschusses als Selbstständige mit, die man dann durcharbeiten muss.

Mein Posting zum Thema „Wie mache ich mich als Journalist*in selbstständig“ kommt noch – ich möchte das ganze Gründungszuschuss-Verfahren aber erst selbst sauber hinter mir haben, bevor ich euch da unvollständige Tipps gebe. 

Was dann passierte, hätte ich selbst nicht erwartet. Obwohl ich kein Zahlengenie bin und schon gar keins in Excel, drehte ich meinem Handy mit der Offtime-App den Saft ab und werkelte hochkonzentriert von sehr früh bis sehr spät an meinem Businessplan. Ich merkte gar nicht, wie die Zeit verflog, so fokussiert war ich. Manchmal schaffte es mein Mann gerade noch, mir ein Stück Schoko und eine Schlaftablette in den Mund zu schieben, sonst wäre ich am Laptop verhungert oder an Schlafmangel gestorben. Ok, das war ein saublöder Witz, aber das Thema bedarf hin und wieder etwas Auflockerung.

Als die Orga (und es ist viel, aber davon lassen wir uns nicht abschrecken) für den Zuschuss erledigt war, soweit die To Dos bei mir lagen (leider muss man oft auf die Arbeit von Behörden warten, die man für den nächsten Schritt braucht), nahm ich mein Handy wieder in die Hand, und meldete mich bei allen Menschen, die ich viel zu lange nicht gesehen und gehört hatte. Alte Bekannte von früher, zu denen der Kontakt immer unter meinem Stresslevel leiden musste, Geschäftskontakte, die ich auch nach BUNTE.de nicht entbehren wollte, Freunde.

Mein Kalender füllte sich rasant und schon standen pro Tag drei Verabredungen drin, auf die ich mich wahnsinnig freute. 
„Du hast ja jetzt nix mehr zu tun, wie geht’s dir?“, kam von einigen Menschen bei mir an. „Wenn du wüsstest …“, dachte ich und schmunzelte. Mir war schon vorher klar, dass ich „ich mach dann erst mal eine Pause“ nicht realisieren kann. Dafür bin ich ungeeignet. Ich fühle mich so schnell unnütz, ich muss immer was machen, ich brauche das.

Seit Februar ist es aber ein anderes „Machen“. Jeder Morgen, an dem ich um 7 aufwache und vor lauter Aufregung, was der Tag bringen wird, aus dem Bett schnelle, ist mein Morgen. Jeder Termin mit Partnern oder Kontakten, den ich einstelle oder eingestellt bekomme, ist mit mir und dient meiner beruflichen Zukunft. Jede Mail, die ich abschicke, und jede, die zurückkommt, hat einen direkten Effekt. 
Ich habe das Thema Selbstwirksamkeit in der Selbstständigkeit ganz neu für mich aufgefaltet und spüre sie sehr intensiv. 

Bisher klappt es ganz gut mit der Strukturierung meines Alltags. Jeden Montag arbeite ich ein paar Stunden im Café (hallo Freelancer-Klischee), ich habe regelmäßige Dates zum Mittagessen und versuche, abends nicht am Bildschirm zu hängen, wenn nichts eilt.

Ich bin ja eher der Typ, der sich so viel auflädt, dass er erst in einem Erschöpfungszustand landen muss, um das es als „zu viel“ zu verstehen. Viele Freie laufen Gefahr, sich zu überlasten, weil es keine festen Bürozeiten und damit weniger Strukturen gibt, in die man eingebunden ist. Man hat die Wahl: rasten oder rasen. 

Nach dem ersten Monat Selbstständigkeit kann ich sagen, dass ich auf jeden Fall eher rase als raste, aber ich versuche, eine Geschwindigkeit für mich zu finden, die mir gut tut. Mal rennen und das Blut pulsieren lassen, mal spazieren und sinnieren, die Abwechslung macht’s.

Neben der normalen Akquise-Arbeit gucke ich mich auch in einigen Frauen-Netzwerken um, weil mir das Thema #fempower am Herzen liegt. Ich habe mich riesig gefreut, als mich Martina vom YOUNG BPW als Speakerin zu diesem Netzwerkabend (4. März, 19 Uhr, im „Ooh Baby I Like It Raw“) eingeladen hat (leider klappt das Einbetten gerade nicht). Kommt gerne vorbei, ich freu mich!

Und dann kam gleich noch eine schöne Anfrage rein: Die liebe Ulrike bittet mich zum Couch-Talk (26. März, 19 Uhr, in Ulrikes Praxis). Das Thema: „Krise kann ich“. Ich hatte zwar keine Krise, kann aber ganz gut dazu motivieren, etwas zu verändern, bevor sie kommt.

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Früher habe ich mich in Festanstellungen immer wohler gefühlt als mit dem Gedanken, mich als Freie selbst organisieren zu müssen. Klar, dazu kommt auch ein bequemes Sicherheitsgefühl, weil der Arbeitgeber viel für einen regelt (Krankenversicherung, Rentenversicherung, Urlaubstage, Krankheitstage, Steuern etc.). Als Selbstständige*r muss man sich selbst um all das kümmern, was erst mal jede Menge Recherchen, Informationen und Orga erfordert. 

Aber ich sag’s euch: Das macht Spaß! Ich habe all diese Infos total aufgesogen, weil sie mich interessierten. Und wenn man dann alles mal durchschaut hat, fühlt es sich richtig toll an, sein Leben selbst durchschaut zu haben. 

Eine Freundin sagte nach zwei Wochen, in denen sie mich im Orga-Marathon begleitet hatte, zu mir: „Ich glaub, du bist die geborene Freelancerin. Vielleicht war das jetzt genau der richtige Zeitpunkt für dich.“

Nach einem Monat kann ich noch nicht sagen, ob das alles aufgeht, ob ich erfolgreich sein werde und ob ich es nicht doch bereuen werde, bei BUNTE.de gekündigt zu haben. 

Mein Gefühl sagt mir aber ganz klar, dass die Zeit gekommen ist, um frei zu arbeiten. Es jagt mir keine Angst mehr ein – wie früher – sondern ich habe richtig Freude daran, nur für mich selbst zu planen.

Jetzt habe ich viel geschrieben und bin wenig konkret geworden – ich bin glücklich. Mir geht es prima. Gucken wir mal, wie es weitergeht und ob das mit dem Gründungszuschuss so klappt, wie ich es mir wünsche. Ich halte euch auf dem Laufenden!

PS: Ich hätte noch ein paar Mittags- und Kaffee-Dates frei – will wer? Ich hab immer Lust auf gute Gespräche :).